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Letzte Änderung:
02.11.2010

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Christoph ...

Ich kam 1949 zur Welt, gleicher Jahrgang, wie die Bundesrepublik Deutschland und die DDR und somit ein typisches Nachkriegsprodukt, und zwar in Potsdam. Mit diesem typisch preußischen Mißverständnis einer Stadt verbindet mich ansonsten wenig. Meine Vorfahren sind eher eine bunte Mischung aus unterschiedlichen deutschen und französisch-hugenottischen Landen: Die Familien stammen aus Nordhessen, den Rheinlanden, der Mark Brandenburg und dem Südwesten Frankreichs - zu vielfältig, um mich aus diesen Wurzeln zu definieren, überwiegend ideale Negativ-Vorbilder, die sich trefflich zur Abgrenzung und zur Entwicklung einer eigenen Individualität eignen. Aber ich darf meiner Familie attestieren, daß sie mir die Substanz, das Talent, die Ressourcen und die Freiheit geschenkt hat, mich zu dem entwickeln zu können, der ich jetzt bin.

 Mein Vater Karl Schuke hatte zusammen mit seinem Bruder Hans-Joachim in Potsdam die Orgelbauwerkstatt seines Vaters übernommen, und mit meinen drei älteren Geschwistern - zwei Schwestern und einem Bruder - lebten wir in Potsdam quasi in einer Großfamilie. Ernstzunehmende Erinnerung verbinde ich nicht mit den ersten drei Lebensjahren in Potsdam; typischerweise ist dies die Zeit, in der Kinderbilder in Verbindung mit gern wiederholten Anekdoten vage  Erinnerungsfetzen aufsteigen lassen.
1953 siedelte unsere sechsköpfige Familie in den Westen nach Berlin über. Mein Vater baute die West-Ausgründung der Potsdamer
Orgelbauwerkstatt auf - eine mühselige Firmen-
neugründung, die ihn komplett in Anspruch nahm, so daß mein vier Jahre älterer Bruder und ich quasi ohne Vater aufgewachsen sind.

Aus vielen Gründen fällt mir zum Stichpunkt "Dankbarkeit an die Eltern" immer zuerst der Umzug nach Berlin ein - ich nenne hier nur die politischen und urbanen; die politischen brauche ich nicht weiter zu spezifizieren, denn in der DDR hätte ich mich niemals frei entfalten können, und als Stadt bot und bietet Berlin doch einen Anflug von metropoler Urbanität, der in Deutschland nur noch in wenigen anderen Orten zu finden ist.

Nach der Grundschule kam ich ins humanistische Steglitzer Gymnasium, eine "Anstalt mit besonderer pädagogischer Prägung", wie sie sich selbst betitelte -, und die Jahre bis zum Abitur an dieser Anstalt waren sicherlich mit die glücklichsten Schuljahre, die es im 20. Jahrhundert in Deutschland gab: Speziell in der Mittel- und Oberstufe fielen die autoritären Strukturen der Adenauer-Ära wie Kartenhäuser zusammen, und die letzte Zeit vor dem Abitur 1969 war von der Studentenbewegung soweit miterfaßt, daß wir Stoff und Inhalte des Unterrichts in Opposition zur Lehrerschaft weitgehend selbständig gestalten konnten, ohne den Druck der Zensuren, denn es gab einen Numerus Clausus nur in der Medizin, und niemand von uns interessierte sich ernsthaft für die Benotung durch die Lehrer, die eher wir zensierten als daß dies umgekehrt geschehen wäre.

Latein und Griechisch sind tote Sprachen - und so waren meine Interessen früh auf die Vergangenheit, die Historie, gerichtet, und natürlich auch die entsprechende Literatur und Philosophie. Im Rahmen der Studentenbewegung bekamt dies eine aktuelle Note, Soziologie und Psychoanalyse bewirkten eine Politisierung, die in Berlin - der seit 1961 durch eine Mauer vom Umland radikal abgetrennten Insel - auf besonders fruchtbaren Boden traf.  Im Dezember 1966 nahm ich an der ersten Demonstration gegen den Vietnam-Krieg (u.a. mit Rudi Dutschke) teil, am 2. Juni 1967 stand ich vor der Deutschen Oper in Berlin, als bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien erstmalig ein Student erschossen wurde.
Parallel dazu hatte ich seit Mitte der 60er Jahre fast jeden Ferientag genutzt, der Insel Berlin zu entfliehen, und mit Wien, London, Paris und Rom lernte ich Urbanität kennen, die es in Deutschland nur ansatzweise gab. In jedem Fall wollte ich Berlin nach dem Abitur verlassen - die Frontstadt-Zeit unmittelbar nach dem Bau der Mauer war vorüber, die Völker der Welt schauten nicht mehr auf Berlin, und das merkten alle, nur nicht die Berliner selber.

Aber ich wußte nicht, wohin, und auch nicht, was ich studieren sollte: Nach der vorwiegend geisteswissenschaftlichen Orientierung der Schulzeit wollte ich mein naturwissenschaftliches Defizit auffüllen, und aus dieser Laune heraus wählte ich Biologie. Eine Blitzentscheidung in zwei Tagen, die eine zweite spontane Wahl nach sich zog, nämlich Darmstadt als ersten Studienort. So bezog ich meine erste winzige Studentenbehausung im April 1969 nur wenige Schritt entfernt von dem Domizil, in dem Markus zur Welt kam und seine ersten 18 Lebensjahre verbrachte.
Mein Studienfach interessierte mich wenig und füllte mich noch weniger aus, so daß eine lange Reihe diverser studentischer Aushilfsjobs begann; einer davon bescherte mir hübsche Nachtwachen im Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe, gleich neben dem Hochzeitsturm, in dem Markus und ich am 11. Oktober 2001 getraut wurden.

Etliche Wochenenden und die meisten Semesterferien verbrachte ich in Berlin oder auf Reisen - die enge Verbindung zu Berlin, nunmehr eher als jemand, der seinen Koffer in Berlin behalten hat, blieb bis heute bestehen, und so konnte ich 2001 z.B. Klaus Wowereit wählen. Richtig gelebt habe ich in Darmstadt niemals, und nach meinem schwulen Cuming out 1970 zog ich schwerpunktmäßig zu meinem Freund in eine Wohngemeinschaft in Bad Vilbel, die legendäre "Villa Satyricon".
Damit war meine Anbindung an Frankfurt vorprogrammiert. Mit der Messe, dem Flughafen und als vitale Metropole (im Gegensatz zu Berlin z.B. immerhin mit zwei Tageszeitungen von überregionaler Bedeutung) bestach mich ein Anflug von Weltläufigkeit, die im zunehmend provinziellen Berliner Mief zu ersticken drohte. Persönlich war sicherlich auch entscheidend, daß meine Einführung in die schwule Subkultur in Frankfurt und kaum in Berlin erfolgte - ich gewöhnte mich an Frankfurt, so daß ich heute sagen kann, bis zu einem gewissen Grade in beiden Städten zuhause zu sein.

Die Bindung an Frankfurt kulminierte schließlich 1974 in einer Wohnung gemeinsam mit meinem Freund nahe der Konstablerwache unmittelbar in der Innenstadt.
Kommunalpolitische Interessen veranlaßten mich 1977 nach der für die SPD verlorenen Kommunalwahl, im Schock über diese Niederlage in diese Partei einzutreten. Der Status einer passiven Karteileiche befriedigte mich nicht, ich arbeitete in verschiedenen Funktionen in der SPD mit, von 1991 bis 2001 als Vorsitzender des Ortsvereins Innenstadt. Und ich war und bin am Aufbau der Schwuso-Arbeitsgemeinschaft der SPD in Frankfurt und Hessen beteiligt, seit 2000 als Frankfurter Vorsitzender.

Mit der Diplomarbeit über die "Inkrementelle Schwelle der Honigbiene in Abhängigheit von der spektralen Zusammensetzung des Himmelslichts" schloß ich meine ganz und gar nicht glorreichen biologischen Studien 1977 ab - gleichzeitig war damit auch das Band zu Darmstadt gekappt. In diesem Gebiet wollte ich natürlich nicht arbeiten, und erstmalig stellte ich mir die Frage, womit ich dermaleinst über Jobberei hinaus meine Brötchen verdienen will.
Was ist einträglicher als das Geschäft mit der Krankheit? Und trotzdem noch mit einem Mäntelchen von psychosozialem Engagement zu kaschieren? Natürlich die Medizin, und diesmal in einem eintägigen Entscheidungsprozeß wählte ich die Medizin als nächstes Studienfach.
Im Kern war dies natürlich interessanter als die Biologie. Wichtiger als der klinische Alltag war mir allerdings die Medizinhistorie, und in einer großen Anstrengung begann ich 1979/80 ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben für eine Dissertation: Nämlich eine Besucherumfrage (also angewandte Soziologie) in einer Ausstellung mit Arbeiten von psychisch Kranken. Diese Arbeit steht zwar, nicht aber die druckfertige Fassung - bis dato das einzige Ziel, das ich noch nicht erreicht habe.

Die Medizinära schloß für mich mit einem Gastspiel in der Psychotherapie, und nach den Erfahrungen in der somatischen Medizin war dies die entscheidende Bestätigung für meine Gewißheit, in jedem Fall nach der Approbation nicht in der praktischen Medizin arbeiten zu wollen. Sigmund Freud hätte gesagt, ich war und bin nicht sadistisch genug, um ein guter Arzt sein zu können.
Somit hatte ich 1983 zwei abgeschlossene Studien, aber keinen ernsthaft befriedigenden Broterwerb. Nach einer Zeit der Irrungen und Wirrungen kam es mir daher sehr gelegen, daß ich von zwei Freunden 1984 aufgefordert wurde, mich als stiller Gesellschafter an der Neugründung einer
feinoptischen Firma zu beteiligen.

Aus der passiven Kapitalbeteiligung wurde in wenigen Monaten eine aktive Rolle, erst in der physikalisch-technischen Beratung, dann im Verkauf, schließlich als Vorstandsvorsitzender in der Mitwirkung an der Leitung des Unternehmens. Es dauerte etliche Jahre der Selbstausbeutung, bis das Pflänzchen Wurzeln gebildet hatte, und nach einer insgesamt sehr erfolgreichen Expansion in den 90er Jahren haben wir mit der Umwandlung in eine AG 1999 die Voraussetzung für eine solide weitere Aufwärtsbewegung geschaffen.
Eine kleine Ironie der ganzen Geschichte ist indes, daß unsere Firma überwiegend optische Komponenten für Medizinlaser fertigt - dies hat natürlich nichts mit meiner Ausbildung zu tun, ist aber ein hübscher Zufall. Auch die ambivalente Haltung zur Psychotherapie hat mich wieder eingeholt, und zwar in Bezug auf mich selbst, als ich 1990 in Eigentherapie meinen Alkoholismus überwand und seitdem trocken lebe.

Ende der 90er Jahre war indes - man mag dies midlife-crisis nennen - der Punkt erreicht, an dem größere und ernsthaftere Besinnungspausen möglich wurden - sich mir die Sinnfrage stellte. Mit der Firma verheiratet zu sein, war auf Dauer nicht die höchste Befriedigung, und so war sehr wohl die Bereitschaft zu etwas völlig Neuem vorhanden. Eine von vielen Zufallsbekanntschaften, wie sie zu jeder schwulen Karriere gehören, entwickelte sich ganz anders, als es die Akteure anfangs beabsichtigten: Die Beziehung zu Markus entwickelte eine Eigendynamik, die uns beide fast zu überrollen drohte. Und als wir uns unversehens als Paar verstanden, war selbstverständlich, daß wir die weitere Entwicklung gezielt gestalten wollen.

Weder Markus noch ich werden unsere alten Indivualitäten aufgeben - aber als Paar sind wir eine neue Einheit, die das früher vorherrschende "ich" zu einem "wir" verwandelt hat. Und unsere Einzelbiographien sind schon vor unserer Trauung zu einem guten Teil in ein gemeinsames Leben eingeflossen.

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